Die Außenseite des Inneren
Macht und Ohnmacht
Das Innere des Außenseiters
Kollektiv und Individuum
Titelblatt von Thomas Hobbes' Leviathan
Kupferstich von Abraham Bosse, 1651
Der Staat als politischer Körper – so stellte sich Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert die Gesellschaft und ihr Machtgefälle vor.
Friedrich Cerha beschäftigte sich in kompositorischer Weise mit der Struktur der Masse und ihren sozialpolitischen Implikationen. Seine Musik leuchtet ins Innere des (oft bedrohlichen) Kollektivs.
Bildquelle: Wikimedia
Szenenbild aus Netzwerk, Theater an der Wien 1981
Zugang
„Mein bester Freund war damals ein Italiener: Giorgio Castagnetti. Der Abend des 12. Februar 1934 ist mir in unauslöschlicher Erinnerung. Wir spielten beim Licht der Petroleumlampe […] Karten, während von fern der Lärm des Kampfes zwischen Austro-Faschisten und Sozialisten um das Ottakringer Arbeiterheim zu hören war. Mein Vater […] wurde unmittelbar Zeuge der Kämpfe. Wenige Tage später führte er mich zu den wichtigsten Schauplätzen und warnte mich – den damals Achtjährigen – eindringlich vor Unduldsamkeit und politischem Fanatismus. Ich habe in den Erlebnissen während der Nazi-Zeit oft daran denken müssen.“
Friedrich Cerha
Aus: Die Juden, Tschechen, Slowaken, Mahder, Zigeuner und wieder die Juden, 1986
Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Musik entsteht, führt nicht selten zu einer Reflexion der Aktualität im sich eben bildenden Kunstwerk. Es erstaunt also kaum, dass die Geschichte mit unzähligen Beispielen politisch motivierter Musik aufwartet, seien es die Bekenntnissinfonien Ludwig van Beethovens, die appellierende Theatermusik Kurt Weills oder der Popfeminismus der heutigen Zeit.
Cerhas Einspruch gegen das Etikett „politischer Komponist“ wäre sicher, würde man versuchen, es ihm anzuheften. Der Naivität des Unpolitischen durch ein „politisch sein, ohne es zu merken“Zitiert nach Rosa Luxemburg: „Unpolitisch sein heißt politisch sein, ohne es zu merken.“ widersetzt sich Cerhas Musik aber ebenso. ‚Demokratische‘ Strukturen finden sich hier etwa im ‚Kräftemessen‘ musikalischer Ordnungen. Explizite Mahnungen fehlen jedoch. Cerhas „Misstrauen gegenüber dem Eindeutigen“Begleittext zu den Sechs Postludien für Orgel. Siehe Joachim Diedrichs, Friedrich Cerha. Werkeinführungen, Quellen, Dokumente, Wien 2018, S. 165 verhindert direkte Stellungsnahmen, fordert aber die Zuhörer:innen stets dazu auf, eigene Schlüsse zu ziehen.
Die für den Hörfunk geschriebene Komposition Und du… ist unter Cerhas Werken sicherlich dasjenige mit der offensivsten politischen Moral: Es thematisiert die atomare Bedrohung. Das Verzeichnis betreibt hingegen eine schauerlich nüchterne Darstellung des systemischen Mordens. Am abstraktesten verharrt die philosophische Hölderlin-Vertonung Jahr lang ins Ungewisse hinab. Sie rechnet die Differenzen gesellschaftlicher Unterschiede gegeneinander auf.
Werke zum Themenfeld
Von der Zeit des Endes
Und du…, 1963
Verbrannte Menschenwürde
Verzeichnis, 1969
Ein Schicksalslied
Jahrlang ins Ungewisse hinab, 1995/96