Monumentum

Kreuzweg

Monumentum

Weißt du, dass die Bäume reden?

Ein Buch von der Minne

Konzert für Schlagzeug und Orchester

Karl Prantl, Kreuzweg, 1979

Bentheimer Sandstein, 14 Platten à 14 x 140 x 140 cm

Im Rahmen des Bildhauersymposions am Kloster Frenswegen schuf Karl Prantl 1979 seinen „Kreuzweg“. Mit ihrer Umgebung bildet die Skulptur eine zahlensymbolische Einheit: 14 massive Steinplatten finden sich inmitten eines Hains von 14 Linden.

Bildquelle: Wikimedia

„Anrufung“ – der erste Abschnitt von Cerhas Orchesterstück Monumentum beginnt rau und gewaltig, als ob er einer urtümlichen Vorzeit entstammt.

RSO Wien, Ltg. Dennis Russell Davies, Produktion Kairos 2010

Karl Prantl, Stein für Friedrich Cerha, AdZ, FOTO0001/4

Die aufgetürmten, kraftvollen Klangmassen erinnern in ihrer besonderen Erdung, ihrem Gewicht und ihrer Stärke nicht von ungefähr an einen archaischen, unbeweglichen Gesteinsblock. Monumentum ist dem österreichischen Bildhauer Karl Prantl gewidmet, mit dem Cerha eine künstlerische Freundschaft verband. Cerha wandelte die in Stein gemeißelten Ideen seines Freundes in klingende Skulpturen – und auch Prantl schenkte dem Komponisten ein eigenes Werk, den Stein für Friedrich Cerha. Seit 1987 steht dieser im Pöttschinger Feld, einem Skulpturengarten im Burgenland.

Außenansicht

Cerha und der drei Jahre ältere Prantl (*1923) lernten sich bereits in den 1950er Jahren kennenSchriften: ein Netzwerk, Wien 2001, S. 256, zu einer Zeit, in der beide Künstler ihre Profile zu schärfen begannen. Während Cerha unterschiedlichste Stile, Strömungen und musikalische Phänomene aufsog, um so zu einer eigenständigen Klangsprache zu gelangen, widmete sich Prantl ab etwa ab 1950 der Arbeit mit Steinen. An der Wiener Akademie der bildenden Künste hatte Prantl lediglich Malerei studiert. Den Umgang mit Hammer und Meißel erlernte er autodidaktisch.

Cerha und Prantl in Salzburg, 1989, AdZ, FOTO0005/2

Später verfolgten Prantl und Cerha die gegenseitige Entwicklung mit großem Interesse. Überraschend sind einige Analogien: 1959 gründete Cerha gemeinsam mit Kurt Schwertsik das Ensemble „die reihe“, eine Plattform für die Neue Musik in Österreich. Im selben Jahr rief Prantl die „Symposien junger Bildhauer“ ins Leben, um ein länderübergreifendes Künstlernetzwerk aufzubauen.
Die im „Römersteinbruch“ in St. Margarethen stattfindenden Symposien waren nicht nur der frühe Versuch, ein Europa in Freiheit, ohne Grenzen des Eisernen Vorhangs zu leben – sie waren, wie Cerha beschreibt, auch das Zeichen einer „Erneuerungsbewegung“Pressemeldung zum Bildhauerhaus in St. Margarethen im Burgenland, http://www.kunstundliteratur.at/category/kritik/ und stießen die „Türen zur internationalen Kulturwelt“ auf. In den vielen Jahren der Veränderung blieben sich beide Künstler treu. Cerha erläuterte 1989:

Es ist keine Freundschaft im Sinne der überschwänglichen Beziehungen des „Sturm und Drang“: Wir sehen uns nicht oft und es gibt weder große Diskussionen, noch einen permanenten Gedankenaustausch, aber es gab über Jahrzehnte hinweg ein Gefühl der Übereinstimmung in der künstlerischen (und menschlichen) Grundgesinnung, das niemals vieler Worte bedurfte.

Friedrich Cerha

Schriften: ein Netzwerk, Wien 2001, S. 256

Kurz nachdem 1987 Prantl seinen Stein für Friedrich Cerha geformt hatte, nahm Cerha die Arbeit an Monumentum auf. Es entstand zu Ehren von Prantls 65. Geburtstag und sollte nicht Cerhas einziges ‚Geschenk‘ an seinen Freund bleiben. Fünf Jahre später widmete er dem Bildhauer auch das Ensemblestück Für K.

Brücke

Das äußere Erscheinungsbild von Cerhas Monumentum macht seinem Namen alle Ehre: Ein großer Orchesterapparat schöpft alle Möglichkeiten der klangfarblichen Gestaltung aus und spannt innerhalb von ca. 20 Minuten einen großen dramatischen Bogen. Die Stützelemente bestehen aus neun Abschnitten, die fließend ineinander übergehen. Jeder von ihnen bezieht sich auf eine andere Skulptur Prantls. Die spirituellen oder auch religiösen Abschnittstitel verraten, welche Skulpturen genau gemeint sind. Schwierigkeiten bei der Identifikation treten dennoch auf, da Prantl gelegentlich ein- und denselben Namen für mehrere Steine verwendet. Dies gilt besonders für den Titel „Meditation“. Seit den 1960er Jahren bezeichnete Prantl seine Skulpturen oft als Meditationssteine. Zahlreiche Arbeiten tragen seit den 1980er Jahren schlicht den Namen „Steine zur Meditation“. Im dem vom ORF produzierten Film Die Steinspur (2007) erklärt Prantl seine Beweggründe.

Robert Neumüller, Die Steinspur – Der Bildhauer Karl Prantl, Koproduktion von Cinecraft, 3sat und ORF, Wien 2007

Im Monumentum ist Prantls Idee der Meditation als roter Faden eingewoben. Das Werk ist auf fünf Grundpfeilern errichtet: Den Rahmen bilden der erste, „Anrufung“ genannte Abschnitt und der Schlussteil „Verzweigungen“. Zwischen ihnen stehen die Abschnitte „Litanei“, „Zeichen“ und „Kreuzweg“. Der Weg, der durch diese musikalisch sehr verschiedenen Stationen führt, ist die Meditation. Vier so genannte ‚Intermezzi‘ bilden das Rückgrat des Werks. Wie in vielen anderen Kompositionen Cerhas, etwa dem voluminösen Spiegel-Zyklus, gibt es ein Zentrum, um das sich die Musik annähernd symmetrisch anordnet, hier der mittlere Teil „Zeichen“, dessen Sonderstellung auch der 6/8-Takt unterstreicht. In einem Manuskript zu Monumentum betont der Komponist, dass diese Struktur der Spiegelcanzone des Frühbarocks gleicht.Cerha, Begleittext zu Monumentum, AdZ, 000T0097/2

Obwohl die enge Verbindung von Monumentum zu den Arbeiten Prantls den Eindruck erweckt, es handele sich um eine programmatische Vertonung der Steinskulpturen, ist dies nur auf den ersten Blick der Fall. Dem Verfahren, die Steine Prantls klanglich-atmosphärisch nachzubilden, steht die Komposition fern. Cerha betont sogar, dass es unmöglich sei, „den expressiven wie auch den strukturellen Gehalt eines Kunstwerks von einer Disziplin in die andere zu übertragen.“Schriften: ein Netzwerk, Wien 2001, S. 256 Was Monumentum mit Prantls Plastiken verbindet, sind stattdessen Ähnlichkeiten der Arbeitsweisen. Viele Steine Prantls weisen eine Strukturierung durch Einkerbungen, Kugelungen oder Durchbohrungen auf, die dazu verleiten, ihre manchmal rauen, manchmal auch glatten und polierten Oberflächen zu betasten. Die bildhauerische Bearbeitung leitet aus dem sprichwörtlich steinalten Rohmaterial ein neuartiges Gleichgewicht ab, das sich durch räumliche Proportionen einstellt. Eben diese Proportionen interessierten auch Cerha.

In den Arbeiten Prantls fällt die Häufigkeit bestimmter Zahleneinheiten auf: 1 (Scheibe, Kreis, Loch); 3, 5, 8 (5 plus 3): Anrufungen; 14 (2 mal 7): Kreuzweg etc. Das sind Zahlen, die nicht nur im Christentum magische Bedeutung haben. Ich habe aus ihnen Proportionsreihen gebildet, die im Stück allgegenwärtig sind, freilich variiert und moduliert. Fibonacci-Reihen, in denen jedes Glied der Summe der beiden vorangegangenen entspricht und die in Strukturen aus den verschiedensten Lebensbereichen zu finden sind, spielen eine wesentliche Rolle.

Friedrich Cerha

Schriften: ein Netzwerk, Wien 2001, 257

Das Betasten von Prantls Steinen verlagert sich bei Cerha demnach in den Bereich des Gedanklichen. Strukturelle Eigenarten, Attribute, Besonderheiten werden als Merkmale wahrgenommen und in Musik überführt. Diese wiederum folgt ihren eigenen Gesetzen.
„Jedes Mittel zur Determinierung von Dimensionen, Quantitäten und Proportionen“ seien ihm während des Komponierens „willkommen gewesen“Schriften: ein Netzwerk, Wien 2001, S. 257, so Cerha. Nur in einem definierten Raum“ könne „schöpferische Fantasie sich entfalten, Beziehungen knüpfen, Differenzierungen finden und über Möglichkeiten verfügen, Mitteilungen zu gestalten“.

Innenansicht

Der Aufdeckung von Zahlen und nummerischen Proportionen in der Partitur von Monumentum wohnt etwas Geheimnisvolles bei. Zwar erläutert Cerha, er habe bestimmte Zahlen in Prantls Skulpturen zum Anlass genommen, sie auch in der Komposition abzubilden. Einen ausführlicheren Kommentar zu den technischen Grundlagen dieser Verfahren gibt es aber nicht. Im Gegensatz zu den Skulpturen ist beim Hören der Musik auffällig, dass Zahlen nicht unmittelbar wahrnehmbar sind. Dies entspricht Cerhas allgemeiner „Abneigung gegenüber dem Herstellen allzu sinnfälliger Beziehungen.“Schriften: ein Netzwerk, Wien 2001, S. 59
Wie stark Zahlenverhältnisse das Monumentum bestimmen, ohne die Espressivität zu opfern, zeigt besonders der erste Abschnitt Anrufung. Er bezieht sich höchstwahrscheinlich auf eine 1959 entstandene Plastik aus Kalk-Sandstein, die im Steinbruch von Sankt Margarethen im Burgenland unter dem Namen Fünf Anrufungen entstand. Im Programmheft zur Uraufführung von Monumentum findet sich ein Foto dieser Skulptur nebst der ersten Partiturseite Cerhas.

Salzburger Festspiele, Programmheft 1989, AdZ, KRIT0033/5

Prantls Skulptur folgt einem Muster, das sich auch in anderen, fast gleichnamigen Werken von ihm findet. Alle Anrufungen des Bildhauers bestehen aus einer hohen Säule, in der entweder Löcher, Einkerbungen oder Ausstülpungen in der Mitte, auf einer geraden Linie ausgearbeitet sind. Die im Programmheft abgebildete Plastik misst 3, 30 Meter in der Höhe und weist fünf große Löcher in der Mitte auf. Die Zahlen 3 und 5, die auch von Cerha als auffallend bezeichnet wurden, stechen hier als Konstruktionsmittel ins Auge.
Die Anrufung in Cerhas Monumentum enthält die beiden Zahlen in vielen Bereichen der Klangorganisation, mal auffälliger, mal versteckter. Eine hohe Bedeutung fällt dem Anfangsklang zu: Alle Instrumente im Orchester setzen auf den Tönen g (gleichzeitig der tiefste enthalte Ton) und d (gleichzeitig der höchste enthaltene Ton) ein. Diese beiden Töne bilden den Rahmen einer Quinte, ein Intervall, das nicht zuletzt durch seinen Namen (lat. „quinta“ = „die Fünfte“) mit der Zahl 5 assoziiert ist. Gleichzeitig spiegelt sich die Zahl 7 in der Quinte wider, geht man von einer chromatischen Skala und 7 Halbtönen aus. Auch die 7 gehört zu den spirituellen Zahlen Prantls, an denen sich Cerha in Monumentum orientiert.
In Anrufung ist die Quinte nicht nur für den Beginn charakteristisch, sondern durchzieht omnipräsent den ganzen Abschnitt. 7 im Orchester gebildete Klanggruppen setzen ein (eine achte tritt im zweiten Takt hinzu) und wandern dann jeweils im Rahmen einer Quinte quer durch den Tonraum. Obwohl die verschachtelten Bewegungen im Einzelnen kaum registrierbar sind, bleibt die Quinte auf diese Weise dennoch präsent, mit ihr somit auch die Zahlen 5 und 7. Das ungewöhnliche Tempo von 57 Schlägen ist ebenfalls ein verborgener Hinweis auf die Zahlensymbolik.
Ein weiteres Gestaltungsfeld, auf dem sich ein Denken in Zahlen, aber auch in Proportionen mitteilt, ist der Rhythmus. Ein Blick in die Partitur verrät, dass in jeder der Klanggruppen eigene, äußerst charakteristische Rhythmen vorherrschen. Der Klang des gesamten Orchesters wird so von übereinandergelegten, profilierten Schichten bestimmt, die in der Summe eine energetische, massenreiche Oberfläche erzeugen. Um dem Geheimnis der im Inneren waltenden Kräfte auf die Schliche zu kommen, hilft ein Blick in Cerhas Skizzenbuch. In ihm sind auf einer Seite rhythmische Muster mit zugewiesenen Zahlen erkennbar, die sich für Anrufung als eine Art Bauplan lesen lassen.

 

Cerha, Skizzenseite zu Monumentum, Anordnung der Rhythmen, AdZ, 000S0079/30

Das Prinzip hinter dieser Organisation ist schnell erklärt: Alle Rhythmen gehen von jeweils einer bestimmten Proportion aus, die sich in Zahlen ausdrückt (beispielsweise „14 – 1 – 1“). Diese Proportion übersetzt Cerha in einen Rhythmus, indem er zunächst einen Grundwert (beispielsweise eine Sechzehntelnote) festlegt und alles Weitere aus ihm ableitet. Ein sich so ergebendes rhythmisches Modell – bezeichnenderweise gibt es 7 von ihnen – lässt sich auch rückwärts lesen (Krebs).
Obwohl die Rhythmenmatrix es nahelegt, arbeitet Cerha keineswegs schematisch. Die entworfenen Proportionen verarbeitet er auf vielfältige Weise. Sowohl die rhythmischen Grundwerte als auch die zu Grunde liegenden Proportionszahlen werden oftmals vergrößert oder verkleinert, sodass der freien Gestaltung kaum Grenzen gesetzt sind. Einzig und allein die Proportionen selbst bleiben in den Instrumentengruppen über lange Zeit bestehen.
Durch die Freiheiten, die Cerha sich bei der kreativen Kombination – der Ars combinatoria – gewährt, entsteht eine Musik, die durch ausgehaltene, lange Töne fast skulptural wirkt, aber durch kurze, im Einzelnen immer etwas andere Anschübe ihre Kraft aufrechterhält. Erst durch den schrittweisen Ausstieg der Instrumente wird diese Kraft schwächer – bis nur noch Streicher und Orgel übrigbleiben, um in die erste Meditation zu führen.

Cerha, Monumentum, Übergang von „Anrufung“ zu „Meditation I“, AdZ, 00000097/13

Sind die rhythmischen Proportionen im Anfangsteil von Monumentum stark verschlüsselt, schließen andere Abschnitte deutlicher an Prantls Skulpturen an, so der Kreuzweg. Allen von Prantl so bezeichneten Skulpturen ist gemein, dass sie auf einer abstrahierenden Ebene an den Leidensweg Jesu Christi erinnern. Seit etwa 1600 wird dieser Leidensweg gewöhnlicherweise in 14 Stationen ausgedrückt (davor waren es meist 7 Stationen) – alle Kreuzwege Prantls bestehen analog immer aus 14 Steinplatten, die in regelmäßigen Abständen zueinander angeordnet sind. In Nürnberg ließ Prantl einen Kreuzweg errichten, dessen Granitplatten aus dem ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg stammen. Der dort ansässige Steinbruch wurde zum Symbolort für die Zwangsarbeit unter der nationalsozialistischen Herrschaft. „Jeder Stein“ im Nürnberger Kreuzweg sei der „Fingerabdruck eines missbrauchten und geschundenen Menschen“, so Prantl.
Da der Nürnberger Kreuzweg erst zwei Jahre nach der Uraufführung von Monumentum errichtet wurde, konnte er für Cerhas Kreuzweg nicht Pate stehen. Vielmehr diente eine gleichnamige, von Prantl 1979 geschaffene Skulptur als Inspirationsquelle. Sie ist auch im Programmheft der Uraufführung abgebildet.

Robert Neumüller, Die Steinspur – Der Bildhauer Karl Prantl, Koproduktion von Cinecraft, 3sat und ORF, Wien 2007

aus: AdZ, KRIT0033/7

Cerha, Skizzenseite zu Monumentum, Material für „14 Stationen“, AdZ, 000S0079/37

Die Zahl 14 spiegelt sich bei Prantl nicht nur in der Anzahl der Steinplatten. Jede von ihnen weist auch ein Maß von 140 x 140 x 14 Zentimetern auf. Zwischen den Platten herrscht ein steter Abstand von 70 Zentimetern. Abermals klingt hier die heilige Zahl 7 an.
Cerha setzt die Grundzahl 7 und ihre Verdopplung 14 im Kreuzweg verschiedenartig um. Wie Prantls Skulptur ist der ganze Abschnitt – im Komplex des Monumentum an siebter Stelle –auf einen weitläufigen und ebenmäßigen Untergrund gebettet, den die Streichinstrumente durch ein schimmernd waberndes Gewebe erzeugen. Ohne Unterbrechung durchzieht es den gesamten Kreuzweg. Über diesen Klangteppich legen sich nach und nach 14 ausgehaltene Akkorde. Sie werden von diversen Blas- und mächtigen Schlaginstrumenten (zu ihnen gehören ein Tamtam, ein Gong und eine große Trommel) gespielt, wobei die Instrumentation sich von Mal zu Mal ein wenig ändert. Zwischen diesen dunkel glühenden Klangblöcken tritt die Orgel auf. „Grell“ und „äußerst kurz“ wirft sie einzelne Töne in die wuchernden Zwischenräume und gliedert ihn auf diese Weise.

Auffällig an dem sich so ergebenden musikalischen Zeitstrahl ist, dass sowohl die Länge der Akkorde als auch deren Abstände zueinander mit äußerster Strenge beibehalten werden. Basierend auf dem Grundschlag einer Achteltriole – eine Dauer, die Cerha auch in Anrufung für einige Rhythmusmotive wählt – ergibt sich der Wert 14. Angewendet auf die Pausen zwischen den Akkorden ergibt sich der Wert 21 (ein weiteres Produkt der Zahl 7). Während bei Prantl die Länge der Steinplatten und ihre Abstände das proportionalen Verhältnis 2 zu 1 einnehmen, stehen bei Cerha die analogen Akkordblöcke und die sie trennenden Pausen demzufolge im Verhältnis 14 zu 21, gekürzt 2 zu 3. Inspiriert vom Ordnungsprinzip, das Prantls Kreuzweg durchdringt, gestaltet auch Cerha seinen Kreuzweg, jedoch mit einer Ordnung, die sich an musikalische statt räumliche Gesetze anlehnt.

RSO Wien, Ltg. Dennis Russell Davies, Produktion Kairos 2010

Cerha nutzt die Zahl 7 aber auch weitergehend, indem er eine Spannungskurve aufbaut und so die bei Prantl vorgefundene steinernd-unbewegliche Ordnung dynamisiert. Dem statischen Charakter der Steinplatten entsprechen zunächst die 14 monolithischen Akkorde. Obwohl die Akkordtöne und beteiligten Instrumente (Bläser, Schlagzeug) immer wechseln, wird durch die starre Dauer und trübe Farbigkeit eine Uniformität erwirkt. Sie gleicht Prantls Platten, die jeweils eine individuelle Oberflächenstruktur haben, aber aus der Vogelperspektive eine klare Einheit bilden. Den Spannungsverlauf initiieren hingegen die Streichinstrumente und die Orgel.
In quasi mikroskopischer Bewegung tasten sich die Streicher rankenartig voran. Sie beleben den Weg durch die Akkordblöcke, indem sie etwa bis zu Mitte immer präsenter werden, sich dann aber wieder zurückziehen. Diese Zentrierung erinnert an die spiegelsymmetrische Großform von Monumentum. Dass sich das große Ganze auch im Kleinen abbildet, verdankt sich auch der Orgelstimme. Während ihrer 14 Einsätze steigt die Anzahl der Töne kontinuierlich bis zur Mitte an, um anschließend wieder abzunehmen.
Aufschlussreich am Orgelpart ist auch die Zahlenreihe, die sich aus der Menge der verwendeten Töne ergibt. Sie erinnert an jene bekannte Proportionsreihe, die in engem Zusammenhang mit dem Goldenen Schnitt steht – die sogenannte Fibonacci-Folge. Das Prinzip, Zahlen aufeinander folgen zu lassen, indem eine Zahl stets die Summe ihrer beiden Vorgänger ist (0-1-1-2-3-5-8-13…), findet sich in der Natur an unzähligen Stellen. Ihr Entdecker, der italienische Mathematiker Leonardo Fibonacci (1170-1240), beschrieb mit ihr einst das Wachsen einer Kaninchenpopulation, die Zahlenreihe taucht aber auch in der Verteilung von Kernen im Korb einer Sonnenblume oder den Spiralformen von Schneckenhäusern, Hurricanes oder Galaxien auf. Ihre Entlehnung aus der Natur verbindet Cerha und Prantls Weltanschauung abermals miteinander, denn beide Künstler zollen der Natur einen tiefen Respekt.
Im Kreuzweg entsprechen die aufeinanderfolgenden Orgeltöne nicht exakt der Fibonaccifolge, sondern nur annähernd. Diese Feststellung kann als stellvertretend für Cerhas Umgang mit Zahlen gelten: Als Inspiration und Gestaltungsmittel sind sie in einigen Kompositionen präsent, niemals jedoch werden sie verabsolutiert oder um ihrer selbst willen verwendet. Sie sind stets Diener seiner musikalischen Vorstellung.

 

Schatztruhe