Die Ferne der Nähe
Wienerisches, Heimatliches
Die Nähe der Ferne
Interkulturelles
Johann-Strauss-Denkmal, Wien
Ihrem „Walzerkönig“ Johann Strauss (Sohn) widmete Wien ein vergoldetes Standbild – es zählt heute zu den populärsten Monumenten der Stadt.
Mit der von der Strauss-Dynastie geprägten Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts wuchs Friedrich Cerha auf. Die Klänge der Wiener Unterhaltungslokale trug er ein Leben lang mit sich.
Bildquelle: Dennis Jarvis/Wikimedia
Friedrich Cerha mit Geige, Wien 1935
Zugang
In der Vorkriegszeit war ich als für mein kindliches Alter recht guter Geiger im provinziell-bürgerlichen Musikbetrieb des Wiener Vororts Hernals gesucht: Beim Klein, Sima und Gschwandtner spielte ich – zumeist mit Erwachsenen – Walzer, Polkers, Wiener Lieder, Operetten-Nummern und im Rahmen von „Akademien“ klassiche Ouvertüren. Im Jänner 1938 enstand für die Ballsaison beim Gschwandtner eine Walzerfolge nach dem Vorbild Lanners für die klassische Besetzung, zwei Geigen, Bratsche und Kontrabass. Sie wurde nicht mehr aufgeführt: zwei Monate später waren die Nazis da und meine Kinderwelt versank für immer.
Friedrich Cerha
Schriften: ein Netzwerk, Wien 2001, S. 216
Lange Zeit habe er sich als Weltbürger gesehen und sei überzeugt gewesen, auch „eine entsprechende Musik“Thomas Meyer, Interview mit Friedrich Cerha, https://www.evs-musikstiftung.ch/de/preise/preise/archiv/hauptpreistraeger/friedrich-cerha/interview.html zu machen, so Cerha. Erst durch die Beschäftigung mit fremden Kulturen sei ihm klar geworden, wie sehr er die eigenen Wurzeln übersehen habe. So beschreibt der Komponist sein Zurückfinden zur eigenen Identität durch die Beschäftigung mit dem Anderen, ein Nähern durch Entfernen.
Das ‚Österreichische‘ in Cerhas Musik ist eine ihrer stärksten Wesenszüge. Es gründet auf seiner Wertschätzung der Wiener Schule und deren „musikalische[r] Ethik“Peter Baier, „Kontrapunkt unter der Schulbank. Wird am Samstag 70: Gespräch mit dem Komponisten Friedrich Cerha.“ Münchner Merkur, Nr. 39, 16.2.1996. Mit Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton von Webern, aber auch mit Gustav Mahler oder Franz Schubert verbindet Cerha ein verwandtes Fühlen und Denken, das er selbst nur schwer beschreiben kann. Gemeint ist kein enger Fokus auf das Heimatliche, auch keine musikalische Nationalidentität, wie sie etwa die russische „Gruppe der Fünf“ oder musikethnologisch interessierte Komponist:innen wie Béla Bartók anstrebten. Im Mittelpunkt steht vielmehr das „Erlebnis, dass es doch nicht ganz dasselbe ist, ob man eine Verwandtschaft zu einem geistigen Raum wählt, oder ob man in sie hineingeboren ist.“Schriften: ein Netzwerk, Wien 2001, S. 173
Dergleichen bezeugt Cerhas Erstling, die Gschwandtner Tänze, ebenso wie die erste Langegger Nachtmusik, die von vielfältigen Assoziationen an die österreichische Musik(geschichte) lebt, oder auch seine dialektpoetischen, schwarzhumorigen Keintaten.
Werke zum Themenfeld
Süße Erinnerungen
Gschwandtner Tänze, 1938
Komponierte Umwelt
Langegger Nachtmusik I, 1969
A leich aum otagringa friidhof
I. Keintate 1980/82