Der Steingestalter
Cerha vor einem Stein Karl Prantls
Die Freundschaft zum Bildhauer Karl Prantl grundiert Cerhas künstlerische Arbeiten mit Steinen. Einer von Prantls großen Steinen steht auch im Garten von Maria Langegg – umgeben vom dafür idealen Setting, einer weitgehend unberührten Natur.
Foto: Hertha Hurnaus
Sein Leben lang pflegte Cerha besondere Beziehungen zu Objekten und einfachen Dingen. Er sammelte das, was ihm (oft zufällig) in die Hände fiel, übermalte das Gefundene, verklebte und montierte Elemente, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassten. Besonders Naturmaterial, belebtes wie unbelebtes, fasziniert(e). Verweist das Sammeln von Holz, Rinde oder Wurzeln auf seine Liebe zum organischen Pflanzenreich, so spiegelt sich in Cerhas Interesse für Steine eine Gegenwelt – der Kosmos eines anorganischen, gleichsam archaischen und scheinbar unvergänglichen Werkstoffs. Seit der Kindheit nahm Cerha Steine in seine Obhut. Er fand sie am städtischen Wegesrand, im Wald, auch an Steinbrüchen. Doch verfolgte er nie das Ziel, eine Sammlung mit wissenschaftlicher Systematik aufzubauen – mitnichten war er, wie etwa Goethe, ein Hobbygeologe. In den Steinen sah Cerha roh geschliffene Skulpturen, kleine, urtümliche Kunstwerke, die nur die Natur selbst hervorbringen kann. Seine Zuneigung ist demnach als Geste der Ergebenheit zu verstehen, als ein Zeichen der Ehrfurcht gegenüber der natürlichen, vom Menschen unberührten Welt.
Wie bei fast jedem ihm gesammelten Rohmaterial verwendet Cerha auch ‚seine‘ Steine als Gestaltungsmittel. Er begann allerdings erst im mittleren Alter, sie handwerklich zu bearbeiten. Aus dieser Tätigkeit entstanden Skulpturen, die jedoch nicht „allzumenschliche“Vgl. Friedrich Nietzsches Schrift Menschliches, Allzumenschliches Formen annahmen, weder gegenständliche noch geometrisch artifizielle. Einige der so behauenen Steine blieben selbstständige Objekte, andere erhielten eine Funktion in größeren Zusammenhängen – etwa in der selbst gebauten Kapelle in Maria Langegg, einem steinernen Zeugnis von Cerhas unbändiger Schaffenskraft.
Eine Künstlerfreundschaft als Grundstein
Cerhas Kontakte und Freundschaften vernetzten sich besonders in den Nachkriegsjahren nicht allein mit der Musikwelt, sondern auch mit benachbarten Künsten. Im Wiener „Art Club“ traten vor allem Literaten und Maler in den Vordergrund. Sie lösten in der der österreichischen Hauptstadt neue Debatten über ‚das Moderne’ aus. Gegenüber ihren Musikerkolleg:innen hatten sie den Vorteil, nicht auf logistisch und finanziell anspruchsvolle Realisierungen angewiesen zu sein. „Bücher und Reproduktionen waren viel leichter erreichbar als musikalische Aufführungen. Kein Wunder, dass offene und oppositionsfreudige Musiker die Gelegenheit zu Begegnungen begierig ergriffen haben.“Schriften: ein Netzwerk, Wien 2001, S. 50 Die Kunstszene war dominiert von Strömungen, die kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg in Europa entstanden waren – in erster Linie Kubismus und Surrealismus, der „in der Öffentlichkeit am meisten Widerspruch“ erregte. Unter den jungen Kunststudierenden der Nachkriegszeit befand sich auch Karl Prantl, Jahrgang 1923. Im Studium der Malerei suchte er die Abstraktion, merkte aber recht bald, dass die Leinwand seine inneren Vorstellungen nicht genügte. Getrieben von seinem starken Freiheitsdrang wandte er sich schrittweise der Bildhauerei zu – erste Skulpturen schuf er 1951 in seinem Atelier in Pöttsching, einer Marktgemeinde im Burgenland, in der er sein ganzes Leben verbrachte. Sein charakteristisches Material sollten Natursteine werden, oft in beachtlicher Größe. „Prantl vertrat die Ansicht, dass das Arbeiten am Stein im freien Naturraum andere, neue Dimensionen eröffne und so Skulptur zum vermittelnden Medium unter- und miteinander fungiere. Er beflügelte zunehmend kunstinteressierte Menschen, die Steinbrüche und Naturlandschaften im Burgenland wahrzunehmen.“„Zum Symposionsgedanken“, https://www.karlprantl.at/geschichte/chronologie#&gid=lightbox-group-184&pid=3
Karl Prantl arbeitet an seinem Grenzstein (1958)
Der Römersteinbruch in St. Margarethen zur Zeit des „Symposiums junger Bildhauer“
Fotos:
Linkes Bild: Wikimedia
Rechtes Bild: Karlprantl.at
Cerha und Prantl lernten sich in den 1950er Jahren kennen. Beide sehnten sich nach neuen, beflügelnden Erfahrungen. Beide standen jedoch vor demselben Problem. In Österreich mangelte es damals an Aufbruchsstimmung. Wien schien von Restaurationsgedanken wie gelähmt, kein Ort für mutige, progressive und widerständige Kunst zu sein. Um dies zu ändern, war Engagement gefragt, das sich Ende des Jahrzehnts denn auch Bahn brach. Cerha gründete 1958 mit seinem Freund Kurt Schwertsik „die reihe“, das erste Wiener Ensemble für Neue Musik. Ein Jahr später entstand in Graz das „Forum Stadtpark“, eine künstlerisch-wissenschaftliche Aktionsgemeinschaft.Vgl. auch: „Wenn wir nichts tun, geschieht gar nichts“. Friedrich und Gertraud Cerha im Interview, https://van-magazin.de/mag/friedrich-gertraud-cerha/ Und auch Prantl rief ein neues Kollektiv ins Leben. Er wollte junge europäische Bildhauer:innen an einem Ort zusammenführen, um mit einer gewissermaßen europäischen Vision der Vereinigung gemeinsam Kunst zu schaffen. Das dafür nötige Areal war schnell gefunden. Prantl konnte Gustav Hummel, den „Pächter des Steinbruchs von St. Margarethen“„Zum Symposionsgedanken“, https://www.karlprantl.at/geschichte/chronologie#&gid=lightbox-group-184&pid=3 als „Steinsponsor“ gewinnen. 1959 fand so das erste „Symposium europäischer Bildhauer“ mit 14 Künstlern aus sieben Ländern statt. Von Beginn an verfolgte die Gemeinschaft das Ziel, „durch grenzübergreifende Gemeinschaft ein Signal zur Völkerverständigung zu setzen.“ Ideologischen Grabenkämpfen, die der Eiserne Vorhang hervorrief, stellten sich die jungen Künstler mit klarer Kante entgegen. Der Steinbruch wurde so nicht nur zum künstlerischen, sondern auch politischen Schauplatz. Archivaufnahmen aus der Dokumentation Die Steinspur gewähren Einblicke in die Zeit des manifesten Kunstkampfes.
Robert Neumüller, Die Steinspur. Der Bildhauer Karl Prantl, Produktion ORF, 2002
Nach der ersten Gesamtaufführung der Spiegel im Juni 1977 in Wien wurde in dessen Atelier, – einem der großen Pavillons von der Weltausstellung 1873 im Prater -, gefeiert. Prantl ging auf Cerha, der als letzter kam, zu und sagte: „Das war so schön, Fritz, – such Dir einen Stein aus.“ Der zeigte auf einen größten und offenbar für ihn schönsten und meinte: „Den!“ Dann hörten wir zunächst nichts, aber im Frühjahr darauf kam ein Anruf der Firma Kunsttrans, die uns mitteilte, dass sie einen Stein von Prantl abzuliefern hätte. Er steht jetzt nahe der Kapelle in Maria Langegg, mehrfaches Zeugnis einer Freundschaft.
Gertraud Cerha
Korrespondenz im Rahmen von „Cerha Online“
Den Raum zwischen Steinkunst und Musik füllten beide in den folgenden Dekaden mit weiteren Gunstbeweisen auf. Mitte der 1980er Jahre schuf Prantl den Stein für Friedrich Cerha auf dem Pöttschinger Feld – Cerha hingegen komponierte wenig später das Orchesterwerk Monumentum als Hommage an seinen Freund. 1993 kam das Ensemblestück Für K hinzu, dessen Titel auf seinen Widmungsträger anspielt. Hier sind phasenweise ‚Hammer und Meißel‘ sozusagen herauszuhören: Wie ein Bildhauer arbeitet sich Cerha mit stoischen Schlägen auf Amboss und Schwungrad an einem schroffen Klangmaterial ab.
Karl Prantl, Stein für Friedrich Cerha, Pöttschinger Feld, 1984-87
Foto: Lukas Dostal, www.lukasdostal.at
Cerha, Für K (Ausschnitt)
Klangforum Wien, Ltg. Friedrich Cerha, Produktion col legno 2012
Die suggestiven Klänge führen zur Frage nach dem Verhältnis von Musik und Bildhauerei. Ihrer Lösung näherte sich Cerha, indem er selbst Steine bearbeitete und gestaltete – von Prantl als Mentor und ideellem Begleiter unterstützt.
Hämmern, meißeln, schleifen
Foto: Christoph Fuchs
Prantl entschied sich für den Weg des Bildhauers nicht zuletzt deshalb, weil er ihm die Möglichkeit bot, in der freien Natur zu arbeiten. Dass die meisten seiner Steine mit ihrer Umgebung verschmelzen und eine untrennbare Einheit bilden, ist eine folgerichtige Konsequenz. Das Ursprüngliche des jeweiligen Gesteins bleibt in Prantls Skulpturen meist erhalten. Hierin stimmen seine Arbeitsweisen und Haltungen mit denen von Cerha überein. Beide gehen von der von der Naturform aus, die sie behutsam, mit größter Materialsensibilität überhöhen – das Ziel anpeilend, untergründige Strukturen des Steins hervorzuheben, sichtbar zu machen, aber seine originale Stärke zu bewahren.
Cerhas Steinarbeiten ordnen sich wie diejenigen Prantls in vielschichtige Kontexte ein. Auf seinem Grundstück in Maria Langegg finden sich große, überdachte Tafeln (s.o.), die mehrere Fundstücke tragen. Die verwendeten Steine bilden ein ‚Sammelsurium‘. Ihre Größen, Formen, Muster, Farben und ihr Assoziierungspotential unterscheiden sich. Hier lässt sich ein für Cerha typisches, sowohl im malerischen als auch musikalischen Werk immer wieder auftauchendes Gestaltungsmerkmal zu erkennen: die Einheit des Verschiedenen.
Verrät Cerhas Steincollage Lust am Montieren und Kontrastieren, so zeigen andere Werke eine Neigung zum Detail. Auch dieses, der punktuellen Exaktheit verschriebene Gestaltungsprinzip bildet einen ‚Ast‘ in seinem verzweigten Œuvre (es schlägt sich besonders in den Klangkompositionen nieder). Viele der insbesondere frühen Skulpturen verdanken ihre Existenz seiner Sammlertätigkeit. In der Natur gefundene Steine bearbeitete Cerha seit den 1960er Jahren, indem er sie abschliff.
Als Beispiel für die Adaption von Fundstücken können zwei 1967 vollendete Skulpturen dienen. „Bei einem Aufenthalt der Familie in Istrien“, einer Halbinsel zwischen Kroatien und Slowenien, fand er die passenden Steine.Gertraud Cerha, Korrespondenz im Rahmen von „Cerha Online“ „Die darin vorgebildeten Grundformen“ veranlassten ihn, „sie mitzunehmen und ihnen später im Feinschliff ihre endgültige Gestalt zu geben.“ Den fertigen Skulpturen sieht man ihre kernige Ursprünglichkeit gleichsam an: Eine zeigt an den Seiten spitze Verjüngungen. Ein Loch in der Mitte erinnert an Steine Prantls, ist aber im Vergleich asymmetrischer und gröber ausgeformt. Die andere Skulptur deutet einen Torso an. Cerha montierte den Stein – dem Eindruck dienlich – auf einem Sockel. Die Allusion bleibt dennoch vage, im Zwischenreich von Konkretion und Abstraktion verhaftet. Beide Steine sind zugleich Objets trouvés als auch bewusste Formungen.
Cerha, Skulpturen aus Stein, beide 1967
Foto: Christoph Fuchs
Andere Steinarbeiten Cerhas widmen sich noch feineren Gestaltungen. Weiche und wellenartige Konturen bestimmen ihren Ausdruck – etwa den eines ebenfalls in den 1960er Jahren geschliffenen Steins aus „hartem, grauem Mühldorfer Granit.“Gertraud Cerha, Korrespondenz im Rahmen von „Cerha Online“ Die Grundform war der etwa 40 cm hohen Skulptur ebenso wie den anderen Steinen desselben Zeitraums bereits gegeben. Ihre Ästhetik zieht jedoch in eine andere Richtung und ist weniger von gegenständlichen Allusionen als von puristischer Formgesinnung geprägt. Die schon fast beim Betrachten fühlbare, glatte Oberfläche und die geschwungenen Linien verleiten zum Betasten des Materials – auch hier gibt es eine Verbindung zu Prantl, der viele seiner Steine als „Meditationen“ bezeichnete und hier haptische Qualitäten nicht nur mitdachte, sondern in den Mittelpunkt stellte.
Cerha, Stein aus Mühldorfer Granit, späte 1960er Jahre
Links: Joachim Diedrichs: Friedrich Cerha. Werkeinführungen, Quellen, Dokumente, Wien 2018
Rechts: Christoph Fuchs
Ähnlich und doch ganz anders inkludiert eine viel später entstandene Skulptur Cerhas den Tastsinn. Das Material gewann er aus einem „Steinbruch in Kärnten, den ihm Prantl empfohlen hatte.“Gertraud Cerha, Korrespondenz im Rahmen von „Cerha Online“ Es handelt sich um eine rosafarbene Marmorplatte. Auf ihrem Grund gestaltete Cerha organische Vertiefungen, sodass eine hügelige, kraterartige Landschaft en miniature entstand. Der fertigen Skulptur gab er den Titel Urstromtal, ein Name, der nicht zuletzt die plastische Archaik einfängt. Heute liegt der Stein als meditatives Element in Cerhas selbst gebauter Kapelle. Sie lenkt den Blick auf ein weiteres seiner Gestaltungsprinzipien.
Cerha, Urstromtal aus Marmor, ca. 1980er Jahre
Foto: Christoph Fuchs
Stein auf Stein: Das „Projekt K“
Sein wohl eindrucksvollstes, steinernes Zeugnis ist jene Kapelle in Maria Langegg, die Cerha in den 1960er Jahren eigenhändig zu bauen begann – eine Architektur von besonderer Eigenart. Sie steht inmitten eines abgelegenen Waldstücks, unweit entfernt von seinem Domizil. Ihre verborgene Lage macht die Kapelle zu einem „heimlichen Hauptwerk“Monika Mertl, „Der Alte Wilde und die Musik“, Die Presse, 5.2.2016, https://www.diepresse.com/4920057/der-alte-wilde-und-die-musikCerhas. Zu ihr ließ er sich auf einer Familienreise nach Kreta inspirieren. Die dortigen „Kapellen, Steinhäuser und Schafställe im Landesinneren“Gundula Wilscher, „Ein ‚sinnlicher Dialog‘ mit dem Material. Betrachtungen zum bildnerischen und kompositorischen Schaffen Friedrich Cerhas“, in: Dies. (Hg.): Vernetztes Werk(en). Facetten des künstlerischen Schaffens von Friedrich Cerha, Innsbruck u.a. 2018, S. 87-109, hier S. 98 regten ihn zu dem Sakralbau an. In der Tat verströmt das Gebäude mediterranes Flair. An die griechische Baukunst erinnert die rundliche Kontur, vor allem aber der kleine Glockenturm an der Spitze.
Cerha vor seiner Kapelle in Maria Langegg
Foto: Hertha Hurnaus
Seiten- (l.) und Vorderansicht der Kapelle
Foto: Christoph Fuchs
Die Errichtung der Kapelle mag mit jener Sisyphos-Arbeit vergleichbar sein, die mit der Komposition einer Oper einhergeht. Sorgfältige Planung und ein langer Atem sind ihnen gemein. Etwa 20 Jahre benötigte Cerha, um die Kapelle zu vollenden. Als vielbeschäftigter Komponist und Dirigent konnte er sich ihr allerdings nur zeitlich begrenzt widmen. Erste Skizzen entstanden in den 1960er Jahren. Auf einem Blatt sind sie „Projekt K“ überschrieben – eine Erinnerung an das Wort „Kapelle“, aber auch ein erster Verweis auf Karl Prantl und die ihm später gewidmete Ensemblekomposition Für K. Allein die Entwürfe für die Kapelle sind ein künstlerisches Dokument, Zeichnungen mit architektonischer wie bildhafter Visionskraft. Wie sehr das Projekt seinen Urheber beschäftigte, geben Skizzenblätter zu musikalischen Werken zu erkennen, auf denen hier und da Abbildungen der Kapellenfassade sowie des Grundrisses zu sehen sind – z.B. Skizzen zu zu Intersecazioni und Fasce, zwei bereits 1959 entstandene Orchesterwerke, die Cerha um 1973 überarbeitete, zu einer Zeit, als er fieberhaft an der Kapelle arbeitete.
Cerha, Planzeichnungen zur Kapelle in Maria Langegg, undatiert, AdZ
Cerha, Skizzenseite zu Intersecazioni, 1959-1973, AdZ, 000S0054/36
Cerha, Kapelle in Maria Langegg, Ansichten des Innenraums
Foto: Christoph Fuchs