Cerha, öffentlich

Cerha, privat

Cerhas „Stegreif-Rede“ zur Uraufführung der Keintate, Wiener Metropol 1983

Die erste Keintate, ein Stück nach Wiener Sprüchen von Ernst Kein, wurde am 20. Juni 1983 im Etablissement „Metropol“ zur Premiere gebracht. Dieser Ort repräsentiert sowohl den ‚lebensechten‘ öffentlichen Raum der Wiener Vorstadt als auch das Milieu, in dem sich Cerha als junger Geiger erstmals der Öffentlichkeit stellte.

Bildquelle: Archiv der Zeitgenossen

Als Musiker ist das eigene Wirken im öffentlichen Raum unvermeidlich. Ihrem Ursprung und Wesen nach ist Musik auch ein sozialer Akt, ebenso nehmen ihre Akteure einen Platz in sozialen Kontexten ein, gestalten sie. Musik wird zur Musik, indem sie gehört wird. Musiker werden zu Musikern, indem sie miteinander, füreinander und für ein Publikum spielen. Eine Laufbahn als Komponist unterscheidet sich von der eines praktisch musizierenden Menschen auf den ersten Blick. Ist ein Musiker auf die ihm gegenwärtige Öffentlichkeit angewiesen, so ist es der Komponist nicht in gleichem Maße: Die Realisierung von eigenen Vorstellungen bedarf sogar teilweise einer Abgrenzung zur Öffentlichkeit, sie spielt sich im Inneren ab. Erst durch die Verwirklichung der Musik, ihrem Lebendig Werden im Konzerthaus, ist die Grenze zum Öffentlichen überschritten, wird die Gemeinschaft mit einbezogen.

Reflexionen über das Innen und Außen von Musik und ihren Akteuren betreffen im Kern auch die Beziehung Friedrich Cerhas zur Öffentlichkeit – und zwar weitaus wesentlicher als auf einer bloß abstrakten Ebene. In seinem Vortrag „Ist die Moderne erschöpft?“ (1980) sinnt Cerha über die Tendenz junger Komponisten nach, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, auflehnend gegen „die anonyme industrielle Verwertung und Vermarktung der schöpferischen Leistung, ja ihrer Person.“[1] Diese Skepsis gegenüber dem Kulturapparat und seinen institutionellen Zwängen findet auch in Cerha selbst eine Echokammer. Ungeachtet des Spannungsverhältnisses ist es jedoch auch die bewusste Hinwendung zum Öffentlichen, die aus Cerha einen wirkungsmächtigen Künstler machte. „So sehr er, seinem Naturell nach, städtischen Existenzformen zu misstrauen und ländliche Abgeschiedenheit zu bevorzugen scheint, so sehr bedarf er urbaner Strukturen, um sich voll entfalten zu können“ [2], resümiert der österreichische Musikjournalist Lothar Knessl. Das Agieren in diesen Strukturen machte es für Cerha letztlich möglich, ein Inneres ins Äußere zu stülpen, mehr noch: Das Äußere auch zum Teil des Inneren werden zu lassen, die Welt zu erleben, zu absorbieren, zu gestalten.

 

[1] Schriften – ein Netzwerk, Wien 2001, S. 137.

[2] Lothar Knessl, „Versuch, sich Friedrich Cerha zu nähern“, in: Schriften – ein Netzwerk, Wien 2001, S. 10.